Rebound-Effekt und Suffizienz

Nachtrag von négaWatt, 15.03.2023

Achtung: Im untenstehenden Artikel meint der Autor mit «Suffizienz» kurzfristig gedachte Energiesparmassnahmen auf individueller Ebene. négaWatt hat zum Unterschied zwischen Suffizienz und Energiesparmassnahmen kürzlich einen neuen Blog veröffentlich. Die Suffizienz ist korrekterweise nicht zu verwechseln mit der Definition, welcher der Autor des untenstehenden Textes gegeben hat, da sie eben gerade gegen die Rebound-Effekte ankämpft. Die Suffizienz überdenk grundlegende Verhaltensmuster langfristig und dies führt zu einer Änderung der Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, wo wir unseren Konsum wirklich unseren Bedürfnissen angepasst haben (im Unterschied zu unserer jetzigen Überflussgesellschaft). Somit kann es bei einer korrekten, vollständigen Implementierung der Suffizienz per Definition her nicht zu Rebound-Effekten kommen. négaWatt engagiert sich genau dafür und arbeitet an der Implementierung dieses Strukturwandels. In diesem Sinne hat der Autor mit dem Begriff «starke Suffizienz» die Suffizienz, wie sie négaWatt versteht, gemeint. Und mit «Suffizienz» lediglich die kurzfristigen Energiesparmassnahmen auf individueller Ebene. Bei Interesse verweisen wir auf einen anderen Blog vom Autor, in welchem letzterer diesen Unterschied etwas klarer hervorgehoben hat (mit den Begriffen schwache und starke Suffizienz).

négaWatt entschuldigt für dieses Durcheinander.

 

Ich komme gerade (mit dem Zug) aus Hyères (Südfrankreich) zurück, wo ich an der ECEEE (European Council for an Energy Efficient Economy) Summer Study 2022, einem Treffen zur Energieeffizienz in Europa, teilgenommen habe. Dort empfand ich zwei gegensätzliche Gefühle. Auf der einen Seite der Optimismus, dass neue Szenarien und Ansätze, die auf Suffizienz abzielen, eine Halbierung des Verbrauchs und die Erreichung der CO2-Neutralität ermöglichen, wie es auch négaWatt-Schweiz verspricht. Auf der anderen Seite steht eine gewisse Hilflosigkeit angesichts der gewaltigen Aufgaben, die ein solch ehrgeiziges Ziel mit sich bringt: neue Erzählungen über den Energie- und Kulturwandel verbreiten, alle Akteure treffen, unendliche Optimierungsprobleme lösen….

Für mich überwiegen jedoch die letzteren Gefühle. Die fehlende Berücksichtigung von Rebound-Effekten stimmt mich pessimistisch, was den Realismus der Szenarien angeht. Die Ergebnisse des EU-Projekts Odyssee-Mure zeigen dies deutlich: Während die Effizienz von Geräten und Systemen in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches gesteigert wurde, wodurch unzählige Energieeinsparungen erzielt werden konnten, hat sich der Verbrauch relativ wenig verändert. Schuld daran ist der Anstieg der wirtschaftlichen Aktivität, auch wenn das Ausmass der Kausalität noch nicht genau quantifiziert werden kann. Makroökonomische Modelle ermöglichen es jedoch, sie zu modellieren, werden aber praktisch nie in die vorherrschenden Modelle einbezogen. Auch die Suffizienz (ganz zu schweigen von den erneuerbaren Energien, die bei anderen Ressourcen Probleme verursachen) bleibt nicht verschont, wie ein Artikel aus dem Jahr 2020 zeigt. Der Rebound-Effekt entsteht im Zusammenspiel von komplexen Faktoren, die von psychologischen Faktoren (z. B. implizite Kompensation) bis hin zu Preisänderungen aufgrund einer geringeren Nachfrage reichen.

Auf der Seite des sozialen Wandels bin ich dagegen eher optimistisch. Es gibt unzählige Initiativen für einen Wandel, mit der Absicht, was man in Analogie zur starken Nachhaltigkeit als starke Suffizienz bezeichnen könnte. Man kann skeptisch sein, ob sich diese Modelle schnell auf die gesamte Gesellschaft ausbreiten, aber die Erfahrung mit COVID hat gezeigt, dass eine schnelle Veränderung der kollektiven Praktiken durchaus möglich ist. Ein positives Beispiel sind die Klimamobilisierungen seit 2018, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben und das Thema Klima ganz nach oben auf die politische, mediale und unternehmerische Agenda gebracht haben, auch wenn die Beteiligten mehr erwartet hatten. Diese Umschwünge gehen beide von einem anderen Schattenmechanismus (zumindest im Energiebereich) aus: der berühmten Exponentialfunktion. Wenn die Bedingungen stimmen, kann sich jede gesellschaftliche Vision oder konkrete Lösung sehr schnell verbreiten, da jede Person oder Organisation ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen mit Dutzenden von anderen teilt.

Bleiben also zwei Fragen… Erstens: Was sind die Bedingungen, die eine solch schnelle Verbreitung neuer Modelle in der Gesellschaft ermöglichen? Wir können hier nur an eine andere Untersuchung anknüpfen, die zeigt, dass die Sozialwissenschaften im Vergleich zu den Grundlagen- und Ingenieurwissenschaften nur marginale Finanzmittel (ich würde hinzufügen: „und Interessen“) erhalten. Dasselbe gilt für die limitierten Mittel, welche für die Kommunikation bereitgestellt werden, im Vergleich zu den öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur. Zweitens: Welche Lösungen können von jedem umweltbewussten Akteur schnell und einfach umgesetzt werden? In diesem Punkt kann man auf die Arbeit von négaWatt und einer ganzen Generation von „Idealisten“ verweisen, die als einzige Lösungen vorschlagen, die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt absolut gesehen auf Null zu reduzieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Triptychon aus Suffizienz, Effizienz und erneuerbaren Energien, zum Erreichen von absolut Null CO2-Emissionen, durch Rebound-Effekte zum Scheitern gebracht wird. Es bleibt uns nichts anderes übrig, auf deren Komplementärwirkung, den Mitnahmeeffekten, aufzubauen, indem wir die Wirkung unserer Massnahmen im Hinblick auf die Mobilisierung und Vernetzung der Akteure maximieren, um zu einem starken Wandel beizutragen. An die Arbeit…

 

Autor: Thomas Guibentif, Doktorand am Lehrstuhl für Energieeffizienz der Universität Genf, wo er an der Einführung von Energieeffizienzprogrammen auf regionaler Ebene arbeitet.