Verhaltensänderungen

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Die im negaWatt-Szenario vorgeschlagenen Massnahmen

Das negaWatt-Szenario beinhaltet nicht nur eine Projektion des Energieverbrauchs im Jahr 2050, sondern schlägt auch konkrete Massnahmen, dieses Ziel zu erreichen vor. Das negaWatt-Szenario basiert auf mehreren Annahmen über gesellschaftliche (individuelle und kollektive) und technologische Entwicklungen. Um diese Entwicklungen anzustossen und umzusetzen muss aber zuerst das Wissen darüber verbreitet werden. Dafür wurden Informationsmaterialien entworfen, die helfen, die zu ergreifenden Massnahmen optimal auf die Ziele hin auszurichten. Diese Informationsmaterialien werden demnächst fertiggestellt und durch konkrete Beispiele von Lebensentwürfen illustriert werden, um so die negaWatt-Massnahmen zu veranschaulichen.

Anpassungen beim Wohnen

Die Wohnfläche ist die entscheidende Grösse für den Energieverbrauch zur Beheizung von Wohnungen und bildet ein grosser Energieverbrauch in der Schweiz. Darüber hinaus bestimmt die Wohnfläche auch den Energiebedarf für Kühlung/Lüftung und Beleuchtung. Zusammen machten diese drei Bedürfnisse 21 % des Gesamtenergieverbrauchs im Jahr 2018 aus. Während sich herkömmliche Energieeffizienzmassnahmen auf die Verringerung des Bedarfs pro Flächeneinheit durch bessere Techniken konzentrieren, ist es auch wichtig, das Einsparpotential, das sich aus der Minimierung der Wohnfläche ergibt zu bewerten.

Mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 46 m2/Person im Jahr 2018 gehören die Schweizer Wohnungen zu den grössten in Europa. Die Wohnfläche hat aus mehreren Gründen stetig zugenommen: die Überalterung der Bevölkerung, der Bau neuer, grösserer Gebäude, die Abnahme der Haushaltsgrösse (höhere Lebenserwartung, weniger Kinder, mehr Trennungen), aber auch die Zunahme der Zahl der Eigenheimbesitzer, da diese Wohnform im Durchschnitt mit grösseren Wohnungen einhergeht als Mietwohnungen oder Genossenschaften.

Empfehlungen

 

  • Aufbau von lokalen Wohnungsvermittlungsstellen, die Beratung und Unterstützung bei Umzügen anbieten und den Tausch zwischen älteren Haushalten und jungen Familien fördern, u. a. durch finanzielle Anreize.

  • Gemeinsam genutzte oder kleine Wohnungen durch positive Kommunikation erstrebenswert machen (innovative und multifunktionale Projekte sollten gefördert werden).

  • Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen durch finanzielle Unterstützung für deren Schaffung oder durch Vorkaufs- und Flächenrechte. Solche Wohnungsformen sollten auch in der Raumplanung berücksichtigt werden.

  • Bereitstellung von Wohnungen, die für 1 oder 2 Personen geeignet sind, indem verschiedene Lösungen für diese Bevölkerungsgruppen angeboten werden. Parallel dazu sollte der städtische Raum benutzerfreundlicher und praktischer organisiert werden. Attraktive Lösungen dafür können durch Architekturwettbewerbe gefördert werden.

  • Festlegung von Standards für die Wohnfläche pro Person und auf dieser Grundlage Einführung von Anreizen/Steuern oder Schwellenwerten in bestimmten Vierteln.

  • Förderung von Programmen für gemeinschaftliche Wohnformen, insbesondere für das generationenübergreifende Wohnen.

Hindernisse bei der Umsetzung der Suffizienz

  • Eine grosse Wohnung ist ein Statussymbol, denn kleine Wohnungen gelten oft als unpraktisch und nicht erstrebenswert.

  • Die Mobilität im Wohnungsbereich wird durch die Mietpreise, Unterschiede zwischen den Wohngegenden und die Schwierigkeit, eine neue Wohnung zu finden, behindert.

  • Die dem Wohnen zugeschriebene Funktion der Sicherheit und des Rückzugs kann ein Hindernis für die gemeinsame Nutzung von Räumen sein. Auch zwischen Bewohnern, die sich gemeinsame Räume teilen, kann das Zusammenleben schwierig sein.

  • Der derzeitige Wohnungsbestand ist nicht unbedingt an die Grösse der Haushalte, insbesondere der Ein- und Zweipersonenhaushalte, angepasst, und bei Neubauten wird nicht auf Suffizienzaspekte geachtet. Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit von Grundstücken für neue Wohnformen, wie z. B. Genossenschaftswohnungen, beschränkt.

Eine Radtour?

Müssten wir für unseren Heizenergiebedarf in die Pedale treten, so müssten wir im Jahr 2020 täglich 3’150km zurücklegen und im Jahr 2050 im Suffizienzszenario „nur“ noch 1245km.

Mehr zu dieser Berechnung.

Die richtige Temperatur

Mit 118 PJ im Jahr 2018 für alle Sektoren zusammen stellt der Wärmebedarf den zweitgrössten Energieverbrauchsposten im Land dar, gleich nach der Mobilität. Die Haushalte verbrauchen 2/3 dieses Bedarfs. Die Renovation bestehender Gebäude und Neubauten nach den besten Standards sowie der Austausch fossiler Heizungen sind notwendige Massnahmen, die jedoch durch Suffizienzmassnahmen ergänzt werden sollten, um die Klimaziele schneller und kostengünstiger zu erreichen. So heizen viele Haushalte auf 22-23°C, während 20°C ausreichen und echte Energieeinsparungen ermöglichen würden.

Empfehlungen

 

  • Kommunikation und Informationen dazu, wie der thermische Komfort angepasst werden kann und  wie Heizungen funktionieren. Ein Nachbarschaftsverein oder eine Einzelperson kann als lokale Kontaktstelle fungieren. Der öffentliche Dienst sollte auch in Bezug auf die thermische Suffizienz ein Vorbild sein.

  • Den Bewohnern sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihren Energieverbrauch selbst zu beeinflussen; dies geschieht zum Beispiel durch individuelle und präzise Verbrauchsmessungen, Live-Feedback und die Möglichkeit, die Temperatur für jeden Raum individuell zu steuern (individuelle Heizkörperthermostate). Entwicklung einer Fernsteuerung für die Heizung von Zweitwohnungen.

  • Anreize für umfassende Gebäudesanierungen und für Heizungserneuerungen durch attraktive Finanzierungsmodelle und die Einführung einer progressiven Sanierungspflicht. Informationen über die verfügbaren Mittel und die Energieaudits sollten stärker verbreitet werden.

  • Unterschiedliche finanzielle Ansprüche von  Mietern und Vermietern sollten in Einklang gebracht werden, um mehr Renovationen zu ermöglichen Das Mietrecht sollte einheitlich angewandt werden, um mehr Planungssicherheit zu schaffen. Im Falle einer thermischen Sanierung kann die Miete nur im Verhältnis zur Senkung der Energiekosten angepasst werden.

  • Optimierung von Heizungsanlagen durch Vermeidung von Überdimensionierung oder ungenügend abgestimmte Heizkörperdurchflüssen und durch Nachbetreuung nach Abschluss der Arbeiten (z. B. durch Energieleistungsverträge).

  • Berufsausbildungsplan für die besten Renovierungs- und Bautechniken und Erhöhung der Zahl der im Bereich der thermischen Sanierung tätigen Personen.

  • Hocheffiziente Neubauten mit adaptivem thermischen Komfort innerhalb der Normen.

Hindernisse für die Umsetzung der Suffizienz

  • Das Komfortlevel bei der Raumtemperatur ist eine Frage der Gewohnheiten und hängt von vielen Faktoren ab: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit, Art der in der Wohnung verwendeten Materialien usw. Die Anpassungsmöglichkeiten sind wenig bekannt, und die technischen Mittel sind nicht immer verfügbar.

  • Finanzielle Hindernisse für die Sanierung: Eigentümer von wenigen und kleineren Immobilien wollen sich durch die Sanierung nicht verschulden; grosse Wohnungsunternehmen müssen rentabel sein und riskieren ungern geringere Gewinne, vor allem wenn sie die Mieten nach den Bauarbeiten an den aktuellen Hypothekenzins anpassen müssen.

  • Die Verwaltungen fördern keine Sanierungen. Die Verfahren müssen vereinfacht und in der Öffentlichkeit besser bekannt gemacht werden.

  • Die Einstellung von Heizungsanlagen und die Anwendung der besten Technologien erfordern Aufwand und Wissen seitens der Baufachleute.

Mit dem (elektrischen) Fahrrad

Fahrräder gibt es schon seit vielen Jahrzehnten, aber ihre Nutzung hat in den letzten Jahren stark zugenommen, zunächst in den Zentren der grössten Städte, dann in vielen anderen Gebieten. Insbesondere durch die Entwicklung von Selbstbedienungs- oder Langzeitverleihdiensten stieg die Nutzung des Fahrrads ab Mitte der 2000er Jahre an. Die Markteinführung von elektrisch unterstützten Fahrrädern (e-Bike) führte dann zu einem starken Anstieg der Fahrradmobilität auch in kupierten und weniger dicht besiedelten Gebieten. Die Coronakrise hat auch zu einem starken Anstieg der Nutzung von Fahrrädern, sowohl konventionellen als auch elektrischen, geführt.

Im Jahr 2015 legten die Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 0,9 km pro Person und Tag mit einem konventionellen oder elektrisch unterstützten Fahrrad zurück, was einer Zunahme von 13 % gegenüber 2010 entspricht. Gleichzeitig gaben 7 % der Schweizer Haushalte an, mindestens ein Elektrofahrrad in ihrem Haushalt zu haben. Die meisten Fahrradzählstationen zeigen einen starken Anstieg der Verkehrsströme zwischen 2014 und 2018, mit einem noch grösseren Wachstum zwischen 2017 und 2018, insbesondere in Gebieten ausserhalb der städtischen Zentren.

Diese Tendenzen dürften sich in den kommenden Jahren angesichts der ambitionierten Perspektiven und Ziele, die die Gesundheitskrise und die Masterpläne für den Radverkehr aufweisen, noch verstärken.

Empfehlungen

  • Bau und Signalisation von Radwegen, die breit genug sind, um Fahrzeugen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten Platz zu bieten, und die keine Lücken aufweisen, und so die Sicherheit und Qualität der Infrastruktur für den Radverkehr fördern.

  • Bereitstellung von Abstellmöglichkeiten, von einfachen Fahrradständern bis hin zu gesicherten, möglicherweise gebührenpflichtigen Stellplätzen.

  • Unterstützung individueller Probefahrten mit Fahrrädern (einschliesslich Elektrofahrrädern), um ihr Image zu ändern und verschiedene falsche Vorstellungen über sie auszuräumen.

  • Bereitstellung verschiedener Fahrzeuge, einschliesslich Elektrofahrrädern und Lastenfahrrädern, im Rahmen von Kurz- oder Langzeitmietsystemen.

     

  • Erleichterung der inter- und multimodalen Verknüpfung von Fahrrad und öffentlichem Verkehr.

     

  • Ermutigung der Arbeitgeber, durch betriebliche Mobilitätspläne die Nutzung von Fahrrädern durch ihre Mitarbeiter zu fördern.

     

  • Förderung des Kaufs von E-Fahrzeugen und Lastenfahrrädern für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen durch öffentliche Zuschüsse.

Hindernisse für die Umsetzung der Suffizienz

  • Die Unfallgefahr beim Fahrradfahren ist ein grosses Hindernis für die zunehmende Nutzung dieses Verkehrsmittels. Dies hängt mit der oft fehlenden oder lückenhaften Fahrradinfrastruktur zusammen.

  • Das Angebot an sicheren Fahrradabstellplätzen ist unzureichend und setzt die Radfahrer der Gefahr des Diebstahls aus.

     

  • Radfahren (einschliesslich Elektrofahrrad) ist eine körperliche Betätigung, die eine gute Kondition erfordert. Beim Radfahren kommt jeder/jede ins Schwitzen.

  • Die Unbeständigkeit der Witterung ist ein grosses Hindernis, insbesondere nachts und im Winter.

     

  • Im Alltag ist das Fahrrad nicht für Gruppen- oder Familienreisen geeignet.

  • Das Fahrrad gilt immer noch als langsames Verkehrsmittel und wird von manchen Menschen als nicht modern und zeitgemäss angeschaut.

Eine Fahrradtour?

Die Energie, die benötigt wird, um ein Auto einen Kilometer weit zu fahren, entspricht der Energie, die benötigt wird, um 145km mit dem Fahrrad zu fahren.

Mehr zu dieser Berechnung.

Entwicklung vom Homeoffice

Die Nutzung vom Homeoffice hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen, insbesondere im Zusammenhang mit der Covid 19 Krise, was die Hoffnung weckt, das Pendeln und den damit verbundenen Energieverbrauch für die arbeitende Bevölkerung zu reduzieren. Homeoffice ist jedoch mit verschiedenen Rebound-Effekten verbunden, die sich auf die persönliche Mobilität, die Fläche und die Heizung am Wohnort, die Fläche und die Heizung am Arbeitsplatz und schliesslich auf den Energieverbrauch im Zusammenhang mit den digitalen Technologien auswirken

Im Jahr 2015 arbeiteten 24,3 % der Schweizer Erwerbstätigen einen oder mehrere Tage pro Woche zuhause im Homeoffice. Die wachsende Bedeutung des tertiären Sektors, die grossen technischen Fortschritte in der Digitaltechnik, aber auch die zunehmende Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort sind Gründe, die zur zunehmenden Nutzung von Homeoffice-Lösungen beitragen. Die Coronakrise hat diesen Prozess noch beschleunigt.

Die Einsparungen beim Energieverbrauch werden zum Teil durch die grösseren Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, die Beheizung des Arbeitsplatzes zu Hause usw. vermindert.

Empfehlungen

  • Unterstützung von Arbeitnehmern, die Homeoffice ausüben möchten durch eine Formalisierung dieser Arbeitsform über Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und -nehmern und durch Erfassen der Bedürfnisse der Arbeitnehmer betreffend der Möglichkeit und Ausstattung eines Arbeitsplatzes zu Hause.

  • Begrenzung von Homeoffice auf einen oder zwei Tage pro Woche, um eine berufliche und soziale Isolation der Mitarbeitenden zu vermeiden.

  • Förderung von Coworking-Spaces in der Nähe von Wohngebieten, um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und Isolation zu vermeiden.

  • Fördern einer geringeren Nutzung des Autos für Fahrten ausserhalb des Heimarbeitsplatzes (insbesondere an Homeofficetagen).

  • Passendes Abonnementangebot für den öffentlichen Verkehr, um dessen Nutzung zu fördern, insbesondere an arbeitsfreien Tagen.

  • Förderung flexibler Arbeitsplätze in Unternehmen.

  • Bessere Integration der Funktion „Arbeit zu Hause“ in neue Wohnprojekte.

Hindernisse für die Umsetzung der Suffizienz

  • Für viele Arbeiten ist Homeoffice keine Option (insbesondere in Sektoren wie persönlichen Dienstleistungen, Industrie oder Landwirtschaft).

  • Arbeitgeber zögern manchmal, bestimmte Arbeiten ausserhalb des üblichen Arbeitsplatzes ausführen zu lassen.

  • Der soziale Austausch und Teamarbeit werden oft als wichtig angesehen und schränken die Bereitschaft mancher Arbeitnehmer zur Telearbeit ein.

  • Die Wohnsituation erlaubt es nicht immer, einen angemessenen, komfortablen und gut ausgestatteten Arbeitsplatz bereitzustellen.

  • Wenn das Pendeln nicht als Problem angesehen wird, sehen die Menschen nicht unbedingt den Sinn darin, es durch Homeoffice zu reduzieren.

Eine Radtour?

Im Jahr 2020 wird ein Tag Homeoffice (ohne langfristigen Rebound-Effekt) durchschnittlich 10,72 kWh an Transportkosten einsparen, was 2’144 km mit dem Fahrrad entspricht.